Über dem Papenburger Moor ziehen die Gänse. Im Formationsflug, wie es die Gattung verlangt. Und völlig unbeeindruckt davon, dass am Boden eine kleine Automobilgeschichte geschrieben wird. 12,3 Kilometer lang ist das Hochgeschwindigkeits-Oval auf dem ATP-Testgelände, mit horizontverachtenden Geraden und die Schwerkraft zersetzenden Steilkurven. Physikalisch betrachtet also eine endlose Gerade, auf der 24 Stunden lang drei Mazda6 wie Roulettekugeln vorbeizoomen, um 20 internationale FIA-Geschwindigkeitsrekorde in der Klasse für Diesel-Pkw zwischen 2000 und 2500 cm3 Hubraum zu brechen.

Immer Vollgas gegen die Zeit

Mazda Partneraktion: 24 Stunden Highspeed
Das ist Physik: Bei 228 km/h klebt der Mazda6 in der Steilkurve, als fahre er geradeaus.
22 Fahrer und eine Fahrerin sitzen am Steuer, vier davon im Team von AUTO BILD: Extremsportler Joey Kelly, Redakteur Dierk Möller-Sonntag und zwei Leser, die sich in Hockenheim für dieses Event qualifiziert haben: Alexander Schmitt, 32, Immobilienverwalter aus Grünstadt. Und Andreas Weidenthaler, 46, Industriemechaniker aus Schwabach. Jeder von ihnen fährt im Zwölf-Stunden-Abstand einen 90 Minuten-Stint. Immer Vollgas. Immer geradeaus, gegen die Uhr und gegen einen Rekord von Honda aus dem Jahre 2004: 210 km/h fuhr ein Accord 2.2 CTDi. Im Schnitt.
Kein Problem, das zu schlagen? Doch: Denn die Zeit, die jedes Auto beim Boxenstopp verliert, zählt mit. Und der Wind zerzaust nicht nur Haare, sondern auch Geschwindigkeiten: "Auf der einen Geraden geht das Auto auf 230 km/h hoch, auf der Gegengeraden fällt es wieder auf 220 km/h ab", erzählt Andreas nach seinem ersten Stint. "Nach drei bis vier Runden verlierst du die Zeit, weißt nicht mehr, wie lange du schon draußen bist oder noch bleiben musst. Irgendwann fühlt sich der Gasfuß pelzig an, und dann hast du ein Problem, weil du ja beim Rausfahren bremsen musst ..."

Strengste Überwachung des Rekordversuchs

Mazdas Rekordjagd-Fahrzeuge sind technisch serienmäßig, mit 175 PS und Sechsgang Schaltgetriebe. Noch am Band in Hiroshima hat die FIA die Fahrzeuge versiegelt und die Steuergeräte ausgebaut, erst in Papenburg durften sie unter Aufsicht wieder eingebaut werden. Zuvor schon klempnerten Mazda-Mechaniker Rennsitze, Überroll-Käfige, Spezial-Sicherheitsgurte und Funkgeräte in die Innenräume.
Funken ist für die Boxenstopp-Koordinatoren Christian Schön und Sebastian Prambs lebenswichtig. Alle 90 Minuten müssen die Autos an die Box und vollgetankt werden: 2,1 Liter Diesel schlürft der 6er bei Vollgas – pro Runde. Die FIA-Sportkommissare stellen durch Proben sicher, dass der Sprit auch wirklich stinknormal ist. Außerdem überwachen sie ihre Plomben, vor allem aber die Einhaltung der Regeln: Windschattenfahren ist beispielsweise verboten – und ein Problem, weil das Dauertempo der drei Autos nur um 0,89 km/h differiert.

Video: Mazda-Weltrekordversuch 2014

Die Jagd nach den Bestzeiten

Bild: AUTO BILD
Gefahren wird auf der äußersten Bahn, wer überholt werden soll, muss auf Bahn 2 wechseln. "Auto 2 für die Box: Abstand war jetzt fünf Sekunden, du müsstest noch mal kurz lupfen, um den Abstand auf zehn Sekunden zu erhöhen", funkt Prambs, der auf einem Monitor genau sehen kann, wo auf der Strecke sich gerade welches Auto befindet. Ein FIA-Sportkommissar beobachtet den Vorgang und ist zufrieden. Die Sonne geht langsam unter, das Zelt an der Boxengasse leert sich. Wer nach 23 Uhr noch hier ist, kämpft gegen sich selbst. Mancher starrt mit bemerkenswerter Ausdauer auf einen großen Fernseher, der Geschwindigkeiten, Zeiten und Rekorde anzeigt. Oder die Gerade hinunter, wo die Rekordjäger als lautlose Sterne die Dunkelheit anpieksen, plötzlich vorbeirauschen und wieder vom Nachtschwarz verschluckt werden.

Trotz Schrecksekunde gelingt der Weltrekord

Beim Boxenstopp riecht es auch nachts nach warmen Reifen, zerstäubtem Scheibenreiniger und Motoröl. Dann die Schrecksekunde: An einem Auto geht die Motorhaube nicht auf, Hektik macht sich breit. So sehr, dass ein Mechaniker die endlich hochgeklonkte Haube mit dem fordernden Ruf "Haube! Haube!" gleich wieder zudrückt. Zum Glück arbeitet die Crew so synchron, dass kaum Zeit verloren geht. Am nächsten Morgen hat Joey Kelly bereits seinen zweiten Stint hinter sich. Um 4.15 Uhr ist er ins Auto gestiegen, müde war er nicht. Viermal schon hat er das 24-Stunden-Rennen am Nürburgring mitgemacht, findet Mazdas Rekord-Marathon aber nicht minder reizvoll: "Am Ring wirst du in den kleinen Klassen von den großen Autos fertiggemacht – das passiert hier nicht, und trotzdem ist es von Mazda eine mutige Aktion: Es kann schließlich auch schiefgehen ..."
Mazda Partneraktion: 24 Stunden Highspeed
Freudentaumel im ganzen Team: Jeder fuhr zweimal 90 Minuten im Zwölf-Stunden-Abstand.
So wie beinahe für Leser Alexander Schmitt: "Es gab da ein Missverständnis, Joey kam früher rein als geplant, und für mich begann der Boxenstopp überraschend, als ich gerade auf dem Klo war. In der Hektik habe ich die Sturmhaube einfach über den Kopf gezogen, dabei meine Ohren abgeknickt – und dann anderthalb Stunden Schmerzen gehabt. Trotzdem war es wunderschön, erst in den Abend rein- und beim zweiten Stint in den Sonnenaufgang hineinzufahren. Jetzt, wo der Wind stärker wird, sind die Kollegen aber nicht zu beneiden, gerade in der Steilkurve ist das unangenehm ..." Mehr als das: Jede Lenkkorrektur kostet Zeit und Geschwindigkeit, und das AUTO BILD-Auto ist knapp 1 km/h langsamer als die beiden anderen.
In Runde 409 ist es Auto Nr. 1, das mit 221,076 km/h den 5000-km-Rekord aufstellt, kurz vor Ablauf der 24 Stunden. Es folgt der erleichternde Zieleinlauf im Formationsflug: Drei Autos, 23 Fahrer, 434 Runden, 5340 Kilometer, 221,072 km/h – Wir haben den Weltrekord! 20
FIA-Geschwindigkeitsrekorde stellte Mazda ein: Über 24, zwölf, sechs und eine Stunde, sowie über verschiedene Distanzen von eineinhalb bis 5000 Kilometer.*
*Vorbehaltlich der Anerkennung durch die FIA / Subject to FIA homologation