Rezension aus Deutschland vom 6. Juli 2024
Als langjähriger und großer Fan von Johnny Cash stand es für mich außer Frage, dass ich mir, wenn ein neues Album von ihm erscheint, dieses selbstverständlich kaufen werde. Und so viel kann ich vorab schon sagen: Ich habe es nicht bereut. "Songwriter" ist das fünfte Album, das nach Cashs Tod erschienen ist, und das zweite, für das sein Sohn John Carter Cash alte Aufnahmen seines Vaters zusammengestellt hat - diesmal aus den frühen 90er Jahren, kurz bevor Johnny Cash mit den "American Recordings" sein spektakuläres Comeback feierte.
John Carter Cash verwaltet das künstlerische Erbe seines Vaters behutsam und umsichtig. Wie schon bei "Out Among the Stars" im Jahr 2014 hat er auch diesmal, gemeinsam mit David Ferguson, die alten Songs so überarbeitet, dass die unverkennbare Handschrift Johnny Cashs voll zur Geltung kommt. "Handschrift" lässt sich dabei sogar wörtlich nehmen, denn alle Songs hat Johnny selbst geschrieben.
Entstanden ist dabei ein Album, in dem Cash als Storyteller glänzt, mit Songs, die teils fiktive, teils autobiografische Themen aufgreifen. Johnnys tiefe Stimme ist dabei noch klar und kraftvoll, anders als in den letzten Jahren vor seinem Tod. Stilistisch sind die meisten Titel klassische Country-Songs, aber der Übergang in eine neue Schaffensphase deutet sich schon an. Insbesondere mit den beiden Songs "Drive On" und "Like a Soldier", die nicht ohne Grund unter der Regie von Rick Rubin für das erste Album der "American Recordings"-Serie ausgewählt wurden. Die "Limited Deluxe"-Doppel-CD enthält darüber hinaus 12 spezielle Versionen alter Cash-Songs, aus denen ich das großartige "Cats in the Cradle" (im Original von Harry Chaplin) besonders hervorheben möchte.
Alle, die nur eine Entscheidungshilfe brauchen, ob sie sich das Album zulegen sollen, können hier im Prinzip schon das Lesen einstellen. Ihnen sei gesagt: Ja, wer die Musik von Johnny Cash mag, der wird von diesem Album nicht enttäuscht werden! Für alle anderen, die etwas mehr über die 11 Songs von "Songwriter" wissen möchten, habe ich im Folgenden meine persönlichen Eindrücke zu jedem einzelnen Titel aufgeschrieben:
"Hello out there": Der etwas bedächtige, getragene erste Song des Albums klingt nur vordergründig wie ein netter Willkommensgruß an die Hörer. In Wahrheit thematisiert er, wie öfter bei Cash, das Ende der Welt, die Apokalypse. Dies verbunden aber mit der optimistischen Gewissheit des ewigen Lebens mit Gott ("And the king will come and reign a thousand years"), die Johnny Cash als gläubigem Christen eigen war.
"Spotlight": Musikalisch mit Blues-Anklängen, besonders beim Gitarren-Solo im Mittelteil, wird die Geschichte einer verflossenen Liebe erzählt, deren Schmerz sich der Protagonist im "Spotlight" nicht anmerken lassen will. Ein musikalisch eher untypischer Cash-Song.
"Drive On": Echte Cash-Fans kennen diesen Song, der von einem aus dem Vietnam-Krieg zurückgekehrten Veteranen handelt, natürlich vom ersten "American Recordings"-Album. Interessant bei der hier zu hörenden Version ist die musikalische Umsetzung: Dank technischer Effekte und verzerrter Gitarren wirkt es gegen Ende des Songs fast so, als würde man in der Ferne die Rotorblätter der Helikopter und Sirenen heulen hören. Vielleicht ist es etwas überzogen, aber mich erinnert das entfernt an Jimi Hendrix' legendäre Interpretation der US-Nationalhymne auf dem Festival von Woodstock.
"I love you tonite": Das klassische Liebeslied im Stil einer Country-Ballade erzählt mit autobiografischen Anspielungen die Geschichte von June und Johnny. Der etwas melancholische Blick in die Zukunft ("And when it's all over I hope we will go together, I don't want you to be alone, you know") ist fast prophetisch, wenn man sich vor Augen führt, dass Cash im September 2003 nur knapp vier Monate nach seiner großen Liebe und Ehefrau June Carter starb.
"Have you ever been to Little Rock?": Das fröhliche Lied ist eine Liebeserklärung Johnny Cashs an seine Heimat. Oder an, wie er es selbst ausdrückt, "the land of my family". Sparsam instrumentiert, mit Gitarre und Mandoline, schildert es die Schönheit der Berge, Felder und Frauen (!). Die Melodie kommt mir dabei seltsam bekannt vor, erinnert sie doch an "Games people play" von Joe South. Ob Johnny hier etwa ein bisschen abgekupfert hat? 😁
"Well Alright": Ein heiteres Lied mit lustigem Text über eine Begegnung im Waschsalon, die schließlich in einer Ehe mündet. Der Song zeigt Johnnys heitere Seite, seine Songwriter-Qualitäten und seinen Sinn für Humor. Vom Stil her erinnert er mich, auch musikalisch, an Johnnys "One Piece at the time", der 1976 die Billboard Charts toppte.
"She sang 'Sweet Baby James'": Die getragene Ballade über eine allein erziehende Mutter zeigt Cash wieder einmal als Anwalt der kleinen Leute. "The only difference in my life and hell are the flames" heißt es im poetischen Text des Songs, der musikalisch von akustischer Begleitung geprägt wird.
"Poor Valley Girl": Der Song im klassischen Country-Stil erzählt anekdotisch die Geschichte von "poor valley girl" June Carter und ihrer Familie, die als "Carter Family" ebenfalls Musikgeschichte geschrieben hat. Auch hier blitzt Cashs Humor auf, wenn er über seine spätere Ehefrau singt: "She'd win the hearts of many men as she had many a boy"
"Soldier Boy": Das Lied beginnt wie so viele Songs von Johnny Cash: mit dem Beat des berühmten "Boom Chicka Boom". Der fröhliche musikalische Stil wird allerdings konterkariert von der Thematik des Textes: Es geht um "soldier boys", die ausziehen, um ihr Land zu verteidigen. Sicher kein klassischer Protestsong, aber einer, der mit seinem Fazit "You won't be a boy no more after what you're going for" dennoch klar Position bezieht.
"Sing it Pretty Sue": Der Song über eine imaginäre Geliebte, die sich für ihre Musikkarriere entscheidet statt für den Ich-Erzähler, ist für mich einer der schwächeren auf dem Album. Die etwas larmoyante Art des Protagonisten, sich über seine Ex-Geliebte zu mokieren, packt mich nicht wirklich. Musikalisch erinnert das Lied mich an einen anderen Cash-Song, "There's a mother always waiting".
"Like a soldier": Auch dieser Song hat es auf das 1994 veröffentlichte Album "American Recordings" geschafft. Thematisch geht es um einen älter und weiser gewordenen Mann, der seine wilde Vergangenheit bewusst hinter sich lässt - auch wenn der Text von der ein Jahr später veröffentlichten Version leicht abweicht. Interessant bei der jetzt publizierten Variante ist, dass der Einstieg in den Song bei Cashs eigenem Klassiker "I still miss someone" geklaut worden ist. Auch in dieser Version ein thematisch ergreifender Song, besonders für ältere Männer wie mich. 😁
Mein Fazit: Sicher kommt das Album nicht ganz an die großartigen Meisterwerke aus der "American Recordings"-Serie heran. Dennoch bietet es elf tolle Songs, die viele Facetten aus dem musikalischen Leben Johnny Cashs widerspiegeln. Deutlich wird vor allem sein Humor und sein Talent, sowohl witzige als auch tiefgründige Texte zu schreiben. Die Musik reicht vom klassischen Country bis zu mehr experimentellen Klängen, wobei der Bombast mancher Songs der 70er Jahre mit ihren pathetischen Hintergrundchören (zum Glück) fehlt. Ein straightes Album, das Cash-Fans auf jeden Fall sehr mögen werden.